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Anfang 2000 jährte sich
zum 50. mal der Beginn der Krankenmorde des Nazis-Regims im Deutschland
des 3.Reichs. Dem sogenannten "Euthanasie"-Programm fielen in
Deutschland über 7000 geistig oder körperlich Kranke zum Opfer.
Die Aktionswoche "Erinnern 2000" in Stuttgart bewahrt das Schicksal
der Toten vor dem Vergessen.
Das SchallArchiv gestaltet
einen Abenden mit Liedern über den Tod und Gedichten aus der Kriegszeit:
"wenn
ich wüsste, morgen muss ich sterben
LIEDER ÜBERLEBEN TOD"
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Die
„Aktion" dauerte in ganz Deutschland von Januar 1940 bis August
1941. Insgesamt fielen ihr 70273 geistig, psychisch und körperlich
Behinderte zum Opfer. Die Mordaktionen fanden alle in Heil- oder
Behindertenanstalten wie Grafeneck statt. Gemordet wurde mit Gas
in Gaskammern, die als Duschräume getarnt waren. Anschließend wurden
die Leichen in Krematorien verbrannt – die Euthanasie war der Testlauf
für den Massenmord an den Juden.
Badische Zeitung, Februar 1999
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Am
19. Juli habe ich ein Schreiben an Sie gerichtet wegen der planmäßigen
Ausrottung der Geisteskranken, Schwachsinnigen und Epileptischen.
Seither hat dieses Vorgehen einen ungeheuren Umfang angenommen;
neuerdings werden auch die Insassen von Altersheimen erfaßt... Muß
das deutsche Volk das erste Kulturvolk sein, das in der Behandlung
der Schwachen zu den Gepflogenheiten primitiver Völker zurückkehrt?
Weiß der Führer von dieser Sache? Hat er sie gebilligt? Ich bitte,
mich in einer so ernsten Sache nicht ohne Antwort zu lassen.
Der württembergische Landesbischof Theophil Wurm
am 5.9.1940 an den Reichsinnenminister
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In
Haar, Haus 25, waren Pfleglinge und Schwestern angeblich wegen Scharlach
isoliert, es durfte kein Besuch zugelassen werden. Georg B. ein geistig
nicht so sehr schwacher, stark krüpelhafter Pflegling, hätte im Januar
1940 Besuch von seiner Schwester bekommen. Weil dieselbe nicht zu
ihm durfte, rief sie die Stiege hinauf: "Schorsch, ich weiß, warum
ihr da seid, Ihr werd´s alle umgebracht.
Bericht aus der Anstalt in Ecksberg, in H.-J. Wollasch:
Beiträge zur Geschichte der Deutschen Caritas in der Zeit der Weltkriege |
Mein
Kind ist 1944 vergast und verbrannt worden... Ich habe 7 Kindern
das Leben geschenkt, zwei Frühgeburten sind dabei gewesen, aber
alle sind gesund und normal. Doch ich bin heute noch nicht über
den Tod meines einen Kindes hinweg, obwohl ich jetzt schon 72 Jahre
alt.
Leserbrief einer Mutter, deren Kind auf dem Eichberg
getötet wurde. Hamburger Morgenpost, Nr. 220/1971
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Maria Birgel überlebte Grafeneck
Am Donnerstag, den 23. Mai 1940, soll Maria Birgel umgebracht werden.
Vor der Abfahrt in die Tötungsanstalt Grafeneck schreibt eine Pflegerin
ihr eine Zahl auf den Rücken. Die psychische kranke Frau Birgel fühlt
sich nach eigenen Angaben wie eine Verbrecherin. „Dabei bin ich völlig
normal und weiß, wie ich heiße. Hitler wo bist du! Daß du solch Schreckliches
zuläßt".
Im Hof der Pflegeanstalt Zwiefalten
warten an diesem Donnerstagmorgen bereits die Omnibusse mit den weiß angemalten
Fenstern. „Todesgrauen hatte ich, wo kommen wir jetzt wieder hin?" Bevor
Maria Birgel zusammen mit 58 weiteren Patienten in den Bus steigt, fragt
sie den Direktor der Psychiatrie, Arthur Schreck, wohin die Reise geht?
„Nach Wien", heuchelt der Euthanasiedoktor seiner Patientin vor. „Wer's
glauben tut, wer's glauben tut", denkt sie. „Ihr Sadisten und Kurpfuscher,
nach Grafeneck ging's, in eine große lange Baracke."
Maria Birgel hat aber Glück:
Sie ist eine der wenigen, die den Patientenmord in Grafeneck überleben.
In einem Brief und bei der Vernehmung im Freiburger Euthanasieprozeß 1948
schildert sie nochmal die Ankunft dort: „Einzeln wurden wir verhört und
Emilie hatte sich an mich geklammert wie eine Klette und umarmte mich
und rief ganz laut Hilfe."
Wie die 37jährige Birgel es
geschafft hat, zurückgeschickt zu werden, bleibt rätselhaft. Die übrigen
Patienten einschließlich ihrer Freundin Emilie werden noch am gleichen
Tag vergast – Maria Birgel aber landet einige Wochen später in der Heil-
und Pflegeanstalt Emmendingen.
Als Maria Birgel nach Emmendingen
kommt und gegenüber dem Pflegepersonal andeutet, daß Patienten in Grafeneck
getötet werden, sperrt man sie in eine Strafzelle. Zu dieser Zeit hat
die 37jährige bereits die ganze Palette der Zwangspsychiatrie über sich
ergehen lassen müssen. Mit 30 wurde sie in einen Verkehrsunfall verwickelt,
der sie in die Klinik brachte. 1936 wird Maria Birgel gegen ihren Willen
zwangssterilisiert. Grundlage dafür ist das bereits drei Jahre zuvor verabschiedete
„Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses". Als „erbkrank" gilt, wer
manisch-depressiv war, schwachsinnig, erblich blind, taub oder unter schwerem
Alkoholismus litt.
Badische Zeitung, Februar 1999
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